Auf dem legendären Kystriksveien Fv17
entlang der Nordmeerküste Richtung Süden
Montag, der 10.Juni 2024
Wir begeben uns auf die Reise zur nächsten Fähre. Es ist die zunächst sehr kurze Verbindung von Esøya nach Ågskardet. Danach folgen wir dem Kystriksveien FV17 weiter bis Jetvik. Von hier aus führt die Fährstrecke südwärts.
Etwa in der Mitte der Distanz passieren wir die am Ufer stehende Miniversion des Nordkapmonumentes. Das signalisiert uns klar, dass wir genau jetzt den Polarkreis passieren. In Kilboghavn legt unsere Fähre wieder an und wir stehen seit langer Zeit zum ersten Mal wieder südlich der spektakulären Linie. Von nun an führt unser Weg über eine unendliche Schlangenlinie, aber immer treu und brav der Fv17 entlang. Ein spektakulärer Tunnel erwartet uns einige Kilometer nach Stokkvägen. Quer durch die Landzunge führt der Silatunnel. mit 2882 Meter ist er nicht besonders lang, aber dafür kerzengerade.
Zwischenzeitlich versuchen wir am Hellåga picnic mal unser Glück beim Angeln. Leider ohne Erfolg. Dafür ist der Parkplatz wieder eine echte Perle.
Nach einer Verschnaufpause geht es wieder on the Road. Der nächste Ort ist Nesna. Da gibt es schonmal die eine oder andere Ampel. Auch im Norden muss man bei Rot anhalten. Was war das? Hat da beim wieder Anfahren nicht etwas kurz gequietscht? Was sicher das Auto neben uns. Keine Panik.
Die Straße passiert ab hier kaum größere Orte, eher eine kleine Siedlung nach der anderen. Dafür gibt die Küstenstraße landschaftlich ihr Bestes. Gleichmäßig schön alles. Trotzdem könnten wir zur Krönung des Tages mal wieder eine kleine Besonderheit in Form einer Fähre erleben. Die steht nun mit der Verbindung Nesna-Levang an. Wir bleiben bei kurzen Überfahrten auch öfters mal einfach im Troll sitzen. Odin können wir ja sowieso nicht mit an Bord nehmen. Alle Annehmlichkeiten haben wir im Fahrzeug. Warum sollten wir einen Kaffee für 40 Kronen kaufen, wenn wir eigenen für 50 Cent selber machen können. Auch ein kleines Nickerchen ist da mal drinne. Lange zwar nicht, denn es sind kaum 3 Kilometer auf dem Wasserweg, aber für ein kurzes Powernapping reicht es allemal.
Zwischenzeitlich hat sich der Himmel eingetrübt und zeigt sich von seiner wilden Seite. Tiefhängendes Grau beherrscht die Szenerie als wir die über 1000 Meter lange Helgelandsbrücke passieren. Das beeindruckende Bauwerk wurde 1991 fertiggestellt und schließt seither eine Lücke entlang der Sieben Schwestern, einem traumhaften Höhenzug auf der Insel Alsten, südlich von Sandnessjøen. Leider wird der sonst phänomenale Blick daraus durch die tiefhängenden Wolken verdeckt.
Kaum haben wir die Brücke hinter uns gelassen, schon wartet die nächste Fähre mit der Strecke Tjøtta-Forvik auf uns. Tjøtta ist ein kleiner Ort. Seine Häuser liegen verstreut. Vom Ortseingang bis zum Fährhafen sind es keine 500 Meter.
Wir fahren gerade auf die Einordnungsspuren des Fährhafens zu, als wir bemerken, dass uns eine dicke, pechschwarze Qualmwolke umgibt, die dadurch, dass wir sofort anhalten von hinten heranzieht und sehr schnell das ganze Fahrzeug umhüllt. Conny ruft entsetzt: "Wir brennen!" und im allerersten Moment schießt es auch mir durch den Kopf: "Hoffentlich kein Kurzschluss. Wir haben locker 12.000 Watt Lithiumenergie an Bord. Alles ist unmittelbar an den Batterien abgesichert, so dass eigentlich so etwas nicht passieren kann. Es ist der Keilriemen! Es kann nur der Keilriemen sein!"
Vermutlich ist die schon seit einiger Zeit immer mal wieder quietschende Umlenkrolle nun endgültig kollabiert oder die neue Lichtmaschine ist festgegangen. Der schwarze Qualm kann nur vom durchgebrannten Keilriemen kommen. "Es ist nur der Keilriemen!" versuche ich Conny möglichst ruhig und unaufgeregt zu versichern.
"Ganz ruhig. Kein Problem. Wir brennen nicht. Es ist nur Qualm." Erstmal weg von der Hafeneinfahrt. Rückwärts raus und Platz für die Nachfolgende machen. Und vor allem weg von anderen Fahrzeugen und dem Fährterminal selbst. Leicht könnte hier jemand anders in Panik geraten, wenn er unser qualmendes Fahrzeug sieht. Zum Glück hat die Rauschentwicklung schon stark nachgelassen. Es stinkt nach Gummi. Also eindeutig der Keilriemen. Wir fahren 50 Meter Rückwärts und stellen uns dann auf einen leeren Platz, 100 Meter vom Fährhafen entfernt. In unserer Nähe steht kein anderes Fahrtzeug. Ich drehe den Schlüssel auf "Motor aus"-Stellung. Der Motor läuft weiter. Wieso das? Ich würge den Motor ab.
Er bleibt stehen.
Ruhe.
Wir schauen uns an.
Schei....!
Erstmal aussteigen und die Bescherung von außen anschauen.
Keine Flammen, kein Qualm mehr.
Nur noch Gummigestank.
Gedanken ordnen.
Wie gehts nun weiter?
Einen Keilriemen habe ich dabei. Ich glaube sogar zwei. Wenn es das ist, wäre es kein Problem. Für den Fall "X" habe ich auch Arbeitsklamotten dabei. Da auf jeden Fall das Fahrerhaus gekippt werden muss und ich darunter herumkriechen werde, will ich das nicht im "guten Tuch" tun. 15 Minuten später wird die Bescherung sichtbar. Der Keilriemen liegt zerfetzt in der Schutzwanne unter dem Motor. Na also! Doch halb so schlimm. Aber was ist die Ursache? Ich drehe die Lichtmaschine mit der Hand. Sie läuft völlig frei. War eigentlich klar. Sie ist nagelneu und wurde nur erneuert, um den höheren Strombedarf des 50A-Ladeboosters und den höheren Verbrauch der Bordanlage zu bewältigen. Ich suche nach der Spannrolle für den Keilriemen. Die gibt es aber nicht. Der wird mit der Lichtmaschine selber gespannt. Ich versuche die Wasserpumpe zu drehen. Bombenfest. Das Lager: Glühheiß! Also liegt hier der Hase im Pfeffer. Wird sich schonwieder bewegen, wenn sie abkühlt. Wir stehen so kaum 20 Minuten, da fährt ein kleiner Caddy auf den Parkplatz. Zunächst denken wir; das sind wohl Leute von hier, die ihre leeren Flaschen zum Glascontainer bringen wollen. Da spricht mich der nette Mann auf englisch an: "Can we help?" Ich bin recht erstaunt und wir wechseln einige Worte. Dann sagt er in gutem Deutsch: "Wir können auch deutsch miteinander reden. Das haben wir irgendwann mal in der Schule gelernt. Das kann ich besser als Englisch." Die beiden heißen Mika und Irmelie und sind ganz normale Urlauber aus Finnland. Ihren Caddy haben sie mit zwei Betten, einigen Campingutensilien und ein paar Vorräten ausgestattet. So einfach ausgerüstet, verbringen die beiden schon mehrere Jahre ihren Urlaub in Norwegen und den Nachbarländern.
"Was ist passiert?" fragt Mika. "Und was hast du vor?" Ich antworte: "Naja, erstmal neuen Keilriemen auflegen und sehen, ob der die Wasserpumpe wieder durchdreht!" Vielleicht kriegen wir sie ja wieder ans Laufen. Mika nickt zustimmend und macht sich, ohne zu zögern, gemeinsam mit mir an die Arbeit. Dabei ist ihm sein blaues T-Shirt nicht zu schade. Wir liegen unter dem Trollexpress, schrauben herum, spannen den neuen Keilriemen und hoffen, dass alles schnell erledigt ist. Die beiden Frauen unterhalten sich währenddessen angeregt und Conny fragt Irmelie, warum die beiden so spontan und selbstlos helfen. Irmelie antwortet:" Das macht mein Mann immer so. Schon seit er ein kleiner Junge war. Egal wo etwas zu reparieren ist, da ist Mika zur Stelle und hilft." Zwischenzeitlich planen Mika und ich gerade den großen Moment. Ich versuche den Troll mit gekipptem Fahrerhaus anzulassen, um zu sehen, ob die Schnellreparatur funktioniert hat. Der Motor springt an und sofort wird uns durch lautes Quietschen klar, dass sich da nichts bewegt. Der Motor dreht, die Lüfterwelle auch, die Wasserpumpe steht bockfest. Im selben Augenblick fängt der neue Keilriemen schonwieder zu Qualmen an. Da dadurch auch die Lichtmaschine nicht dreht geht auch die Anhalteelektrik nicht und ich muss ich die Maschine durch die Stopptaste am Motor selbst anhalten. Immer gut zu wissen, wo man diese findet. Mir hatte das mein Freund Torsten mal bei einer Reparatur in Vorbereitung der Reise gezeigt.
Den Motor, wie ich es zuvor bei ungekippten Fahrerhaus gemacht hatte, einfach abzuwürgen, ist bei gekippten Fahrerhaus ungleich schwieriger bis gefährlich und blieb mir so erspart. Wir sehen uns beide recht ernüchtert an und müssen begreifen, dass hier so einfach nichts zu machen ist. Wie nun weiter? Mika kann uns da leider mit bloßem guten Willen auch nicht weiterhelfen. Ich bin aber optimistisch und denke: "Es wird schon eine LKW-Werkstatt in der Nähe geben, die das Lager der Wapu austauschen kann." Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren freundlichen Helfern. Allein den guten Willen, uns bei dieser Sache spontan und selbstlos beizustehen, finden wir einfach nur spektakulär. Schweren Herzens verabschieden wir uns bei unseren finnischen Engeln, bevor diese sich wieder auf die Reise.
Die Fähre, die die beiden eigentlich erreichen wollten, ist allerdings inzwischen abgefahren. Also heißt es: Auf die Nächste warten. Für Mika und Irmchen kein Problem. Danke Ihr beiden! Wir wünschten, es gäbe mehr von Eures Gleichen auf der Welt. Machts gut und schönen Urlaub. Bleibt gesund. Vielleicht treffen wir uns ja irgendwann nochmal wieder.
Mir wird langsam klar, dass es ohne fremde Hilfe kaum weitergehen wird. Verschiedene Ersatzteile habe ich zwar mit. Unter anderem eine Dieselpumpe, alle nur denkbaren Filter, Sicherungen, Schrauben, Muttern, Kabelschellen, Dieselleitungen, Sicherungen,1000 Kleinteile, und selbstverständlich einen kompletten Werkzeugsatz.
Leider aber keine Wasserpumpe. Ein dummer Fehler!
Den neuen Keilriemen habe ich in dem Wissen, dass wir ja einen Dieselmotor, einen sogenannten Selbstzünder fahren, wieder ausgebaut. Fakt ist, dass wir kurze Strecken fahren können. Strom von der Lichtmaschine brauchen wir nur für die Fahrzeugbeleuchtung. Die Starterbatterien sind randvoll und zur Not kann ich von den 12 kW Aufbaubatterien abzapfen. Das Problem ist die Kühlung, die bei defekter WAPU nicht funktioniert. Die Lösung: Stück für Stück fahren, um so zu vermeiden, dass der Motor überhitzt. Also bleibt uns ein Aktionsradius von etwa 10 km bis die Motortemperatur die 90-100 Grad erreicht. Noch nicht wieder ganz zur Weiterfahrt bereit, da tritt ein älterer Herr an uns heran. Ein Norweger aus dem Ort mit seiner Frau. Er fragt ebenfalls, ob er helfen könne. Ich frage ihn: "Is there a truck workshop?" Er sagt: "Not for Trucks, but for Cars." Ich erkläre ihm was los ist. Er bietet sofort an, mich mit seinem Auto zur Werkstatt zu fahren und sagt, dass der Boss dieser Werkstatt die Wasserpumpe sicher reparieren kann. Leider müssen wir feststellen, dass der Inhaber der One-Man-Werkstatt heute und auch für die nächsten zwei Tage nicht da ist. Ein Zettel an der Werkstatttür erklärt das auf Norwegisch. Ernüchtert kehren wir zurück. Trotzdem, wieder eine ganz nette Geste, nicht einfach wegzuschauen, sondern sofort und uneigennützig zu helfen.
Conny hat in der neu aufgereihten Autoschlange zur Fähre einen Mercedes-Actros entdeckt, dessen Fahren wir doch mal fragen könnten, wo die nächste Werkstatt ist. In Skandinavien ist der Mercedes-LKW eher ein Exot. Lokalpatriotisch fährt man hier fast ausschließlich Volvo oder Scania. Es ist uns während unserer Tour sogar hin und wieder passiert, dass uns eine entgegenkommender Markenkollege mit Lichthupe und Arbeitsscheinwerfer gegrüßt hat, als er unser Fahrzeug als Mercedes erkannte.
Der nette Actros-Fahrer wusste auch gleich Rat auf meine Frage nach der nächsten Mercedes Werkstatt. "Wenn du Richtung Norden fährst, sind es 700, Richtung Süden 300 km. We are here in Norway." So seine logische Begründung und er lacht. Er erklärt mir weiter, dass er sein Fahrzeug mittlerweile seit rund 250.000 km fährt und außer zum Ölwechsel noch nie in einer Werkstatt war. "Naja, ist eben ein Mercedes!" denke ich. Nur unserer Schätzchen ist gut 30 Jahre älter. Mit seinen zwischenzeitlich gefahrenen 40.000 Kilometern müsste das Ganze doch eigentlich noch unter Garantie fallen!?
Letzten Endes suchen wir telefonisch den Kontakt zum Mercedes-Deutschland. Wir erreichen die Hotline auch recht schnell. Was allerdings lange dauert, ist die Zeit bis man aus unserer Panne "einen Fall zur Eingabe ins System" gemacht hat. Man versichert uns, sich von Deutschland aus um Hilfe zu kümmern. Es meldet sich allerdings erst nach Stunden erneut jemand, der uns erklärt, dass "der Fall" im System von Mercedes nicht richtig angelegt wurde und wir alles nochmal neu machen müssen. Wieder vergeht eine längere Zeit. Schließlich ruft uns ein Fachmann aus einer norwegischen Mercedes-Vertretung an. Die Verständigung ist schwierig. Norwegisches Englisch, englisches Norwegisch und eine Mischung aus allem führt zu keinem Ergebnis. Schließlich verweist der norwegische Kollege wieder auf die Leute von Mercedes-Deutschland, die sich erneut melden würden. In der Zwischenzeit hat Conny übers Internet herausbekommen, dass sich die nächste Werkstatt nur knapp 55 km entfernt, in Brønnøysund, befindet. Mercedes-Deutschland ruft tatsächlich irgendwann zurück und teilt uns mit, dass es den Kollegen dort leider nicht möglich ist, einen Mechaniker herauszuschicken. Zwei dazwischenliegende Fähren würden dazu führen, dass dieser hin und zurück einen vollen Tag unterwegs wäre. Man habe leider keine personellen Reserven, um diesen Auswand zu stemmen. Also blanker Personalmangel, genau wie bei uns in Deutschland. Man könne uns aber einen Abschlepper schicken. Das ringt mir ein gequältes Lächeln ab. Ich verzichte, ohne lange zu überlegen, freundlich, aber bestimmt. Ich weiß sehr wohl, dass so ein Einsatz, hier oben mehrere Tausend Euro kosten würde. Als zweites Angebot steht im Raum, dass man uns von Deutschland aus eine neue Wasserpumpe mit einem Taxi schicken könnte. Dann doch lieber einen Abschlepper, denn von unserem Standort aus alleine bis Hamburg sind es 1.800 km, bis Frankfurt ganz und gar gut 2.500.
Hin und zurück reden wir also von 3.600 bis 5.000 km. Das erinnert mich unweigerlich an das Lied, "Mit einem Taxi nach Paris", was im Gegensatz zu unserer Strecke, nur 775 km wären.
Zur gleichen Zeit ruft uns mein Freund Uwe, (bedauerlicherweise) MAN-Fahrer an, der woher auch immer, ebenfalls schon von unserem ungewollten Halt gehört hat. "Wenn ich helfen kann, lass mich´s wissen!" Und wer Uwe kennt, der weiß, dass das keine bloße Worthülse war. Er hat irgendwie immer eine Lösung im Ärmel oder kennt jemanden, der helfen könnte. Und seien es Freunde aus der seiner schwedischen LKW-Kommunity.
Als dritter und ritterlichster Kandidat der Hilfskette telefoniere ich mit meinem Verbindungsmann und SK-Experten, Detlef aus Eisenach. Er hat mir zwischenzeitlich bereits alle Teilenummern herausgesucht und sich um deren Beschaffbarkeit in Deutschland gekümmert. "Wenn ich die Brocken heute noch bestelle, habe ich sie morgen, sogar noch vor Mittag da. Fragt sich nur, wie wir die dann zu euch bringen könnten." überlegt er. "Ich hätte da so eine Idee. Wenn alle Stricke reißen, habe ich noch 5 Tage Urlaub?!" 😳
Alleine die Hilfsbereitschaft unter allen vor Ort und unter denen, die sich im heimatlichen Deutschland, Gedanken um uns machen, macht uns komplett sprachlos. Es ist nicht nur die Hilfe selbst, sondern alleine schon die spontane Bereitschaft dazu.
Danke im Nachhinein an alle. 😇
Leider kommen wir auch bis zum Ende des Tages zu keiner wirklichen Lösung.
Conny war zwischenzeitlich wieder forschen und hat nicht nur die Adresse der LKW-Werkstatt in Brønnøysund herausgefunden, sondern bei einem Gassigang mit Odin auch einen Stellplatz am Yachthafen entdeckt. Dort werden wir erst einmal die Nacht verbringen. Es sind keine zwei Kilometer bis zum Hafen. Wir machen uns also auf den Weg. Anmeldung und Nutzung des Platzes, wie schon so oft, unkompliziert und in diesem Fall sogar auch noch unentgeltlich. Toiletten und Duschen stehen offen. Außer uns steht noch ein anderes Paar aus Deutschland mit ihren Camper-Van dort. Sie leihen uns einen Adapterstecker für Schuko-Anschlüsse. Ich hatte im Vertrauen, dass im modernen Skandinavien alle Stellplätze mit CEE-Stecker ausgerüstet sind, nur diese Norm dabei.
Um aber am nächsten Morgen mit randvollen Batterien losfahren zu können, wollte ich die Zeit bis dahin unbedingt am Landstrom hängen.
Über Nacht verschlechtert sich das Wetter dramatisch und wir erleben unmittelbar an der Küste einige recht stürmische Stunden. Das tangierte uns im schützenden Troll jedoch nur peripher. Wir beschlossen uns am kommenden Tag, auf den Weg nach Brønnøysund zu machen.
Dienstag, der 11.6.2024
Mit defekter Wasserpumpe nach Forvik
Der spektakuläre Anruf von Sven
Ein wiederhören nach fast 60 Jahren
Schon früh brechen wir auf. Wir müssen austesten, wie weit wir ohne Motorkühlung kommen und wie lange der Motor danach braucht, um wieder abzukühlen. Zwei auf der Strecke liegende Fährüberfahrten bieten jeweils schon Pausen, die uns in speziellen Falle gerade recht kommen. Die Strecken dazwischen werden wir sicher aufteilen müssen. Also los geht´s. Neuer Tag, neues Glück, wenn auch mit defekter Wasserpumpe. Den Weg zurück bis zur Fähre kennen wir ja schon. Leider war es uns an diesem Tag einfach so garnicht nach Fotografieren und Filmen. Das war einigermaßen dumm, denn oft werden die kuriosesten Ereignisse, wie unsere Panne, am Ende zu den interessantesten der ganzen Reise.
Die Fähre legt planmäßig ab und wir kommen wenig später am Fährkai von Forvik an. Ab hier bis zum nächsten Fährhafen sind es nur 17 Kilometer.
Das Wetter hatte sich inzwischen wieder gebessert und bescherte uns mit blauem Himmel, Sonnenschein und um die 20 Grad wieder die, von uns gewohnten Rahmenbedingungen.
Vom Stellplatz in Tjøtta bis zur Fähre ist der Motor nicht mal so richtig warm geworden. Auf der Fähre selbst konnte er schnell wieder abkühlen und so fuhren wir mit angenehmen 40 Grad Kühlwassertemperatur los. Die Anspannung war groß, denn es ging nun darum herauszufinden, wie weit wir, ohne den Motor zu überhitzen, fahren können. Die Landschaft ist einmal mehr genial, jedoch sitzen wir beide in höchster Anspannung auf unseren Plätzen und beobachten ohne Unterbrechung die Temperaturanzeige. Sie verändert sich beruhigend langsam.
50 Grad, 60 Grad, 70 Grad. Keine Probleme bis jetzt. Die ersten 5 Kilometer haben wir schon geschafft. Leider bleibt der Zeiger der Anzeige aber nicht bei 80 und auch nicht bei 90 Grad stehen. Kilometer für Kilometer tasten wir uns vor. Glücklicherweise verläuft die Straße fast ohne Steigungen. 8 km, 10 km, 11 km und.....100 Grad! Schrill ertönt das Signal der Warneinrichtung. Ein fieser Summerton und das unübersehbare Aufleuchten der roten Warnlampe im Armaturenbrett signalisiert uns, dass nun Schluss ist und wir ohne Gefahr für den Motor nicht weiterfahren sollten. Wir halten an, lassen den Motor aber noch zwei, drei Minuten im Stand tuckern, um keinen Hitzestau zu verursachen. Dann ist Pause angesagt. Wie lange? Keine Ahnung. Der Motorblock des massigen V6 mit seinen 11,3 Litern Hubraum ist ein beachtlicher Wärmespeicher und es dauert lange, bis sich die Anzeige wieder rückwärts bewegt. Wir verbringen fast eine Stunde, bis sie uns mit 60 Grad signalisiert. Nun können wir wieder ein Stückchen weiterfahren. Es folgt das gleiche Spiel wie schon zuvor. Glücklicherweise sind es aber nur noch 5 oder 6km bis zum Fähranleger. Die schaffen wir mit links und 90 Fieber. Bei Ankunft schauen wir auf die Abfahrtstafel. Die nächste Fähre geht erst in gut einer Stunde. Das gibt uns etwas Entspannung und unserem stählernen Freund Zeit zum Abkühlen. In der Fährschlange haben sich auch ein paar Österreicher eingereiht, die erfreulich gute Laune verbreiten und das Szenario mit lauter österreichischer Jodelmusik auffrischen. Passt zwar in Norwegen wie die Faust aufs Auge, aber ist doch irgendwie lustig und wird auch von den anderen Fährschlangenmitbenutzern freundlich, lächelnd aufgenommen.
Da klingelt mein Handy. Wer ist dran? Swen Bönicke aus Eisenach, guter Freund, Fahrer und Selbstaus- und Umbauer eines Mercedes 609, einem legendären Mercedes-Kurzhauber- Baujahr 1992, dem wir eigentlich einen nicht unbedeutenden Teil der Entstehung des Trollexpress zu verdanken haben.
(Aber das ist eine andere Geschichte und würde an dieser Stelle zu weit führen).
Jedenfalls ruft mich Swen an, fragt wie´s uns geht und wo wir uns derzeit herumtreiben. Er selbst und seine Frau Steffi sind auch seit einigen Wochen in Finnland, Norwegen und Schweden unterwegs. Über WhatsApp verfolgen wir uns gegenseitig und schicken uns hin und wieder lustige Kommentare.
Swen klingt etwas aufgeregt und sagt:
"Du ich muss Dir mal eine Schote erzählen, die man eigentlich kaum glauben kann.
Wir sind gerade etwas unterhalb von Kristiansund auf einer kleinen Insel. Auf dem hintersten Zipfel gibt es einen Campingplatz direkt am Wasser. Auf den ersten Blick wirkte er etwas unaufgeräumt. Beim näheren Hinschauen ist er aber etwas ganz Spezielles. Als wir ankamen lief uns ein Deutsch sprechender Mann mit Berliner Dialekt über den Weg, der den Platz offenbar technisch betreut. Sein Name ist Thomas. Wir kamen ins Gespräch und ich kriegte heraus, dass das hier ein Platz ist, von dem aus viele Deutsche zum Angeln rausfahren. Ich habe ihn gefragt, ob er am nächsten Tag mal mit mir angeln fährt. Ich wollte mal jemanden an der Seite haben, um auch wirklich was zu fangen." "Kein Problem, machen wir." "antwortete er und wir haben uns am nächsten Tag mit seinem Boot aufs Wasser aufgemacht. Nach dem Ablegen fragt mich Thomas: "Wo kommst du eigentlich genau her?" Ich sage: "Kennst du eh nicht. Kleine Stadt. Eisenach." Er lacht: "Wie, kenne ich nicht?
Vielleicht kenne ich Eisenach nicht! Hörselberg, Zapfengrund, Kälberfeld!"
Swen muss es fast über Bord gehoben haben. Und Thomas erzählt weiter: "Das Hörselberggasthaus hat mein Opa in den 50er Jahren mal als Bergwirt betrieben. Ich stamme sozusagen aus Kälberfeld. Anfang der sechziger sind wir dann in den Westen gegangen. Als Kind war ich öfter zu Besuch bei meinen Großeltern und auf dem Hörselberg. Leider kenne ich kaum noch jemanden von dort. Den Einzigen, an den ich mich noch erinnern kann, ist Frank Kannegießer. Wir haben damals zusammen im Karnickelstall gehockt und die Hasen geärgert." Swen sagt:" Das ist ja wohl nicht die Möglichkeit. Den Kenne ich auch. Der ist derzeit mit seiner Frau und einer ausgebauten Feuerwehr hier oben im Norden, vermutlich garnicht weit von hier unterwegs. Solche Zufälle gibt es doch garnicht!"
So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich im ersten Moment nicht mehr an Thomas erinnern. Es war schließlich so um die 60 Jahre her, als wir uns, seiner Angabe nach, das letzte Mal begegnet waren. Sehr wohl konnte ich mich aber an seinen Opa erinnern, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft wir damals zur Miete gewohnt haben. Max Baumbach, genannt Mäxer, war begnadeter Autolackierer und absoluter Perfektionist. Was technische Dinge anbelangte, war Thomas Opa Mäxer, der gelernte Orgelbauer, absoluter Fuggler. In den späten 50er Jahren hatte er, gemeinsam mit seiner Frau Hilde, das Hörselberggasthaus gepachtet. Auf dem Plateau vor dem Haus hatte Max ein selbstgebautes Windrad aufgestellt und in Betrieb genommen. Mit dem so erzeugten Strom versorgte er das Gasthaus mit Licht. Es war damals noch nicht ans öffentliche Stromnetz angeschlossen, was erst viele Jahre später erfolgte.
Thomas erklärte Swen, dass er zu Hause irgendwo ein Bild hat, welches ihn und mich zusammen im Karnikelstall zeigt.
Auch ich habe nach Rückkehr von unserer Tour recherchiert und habe nach einiger Suche dieses Bild gefunden.
Es existiert sogar noch ein zweites, gut 60 Jahre altes Bild, welches mir Thomas im November dieses Jahres zugeschickt hat.
Auch ein paar Bilder des Windrades von seinem Opa habe ich im Nachlass meiner Eltern, im Familienalbum von 1957 noch gefunden.
Swens Erlebnisbericht machte uns natürlich neugierig. Wie kann man sich an Thomas Stelle nach so langer Zeit noch an einen damals kleinen Jungen erinnern, den man nur zwei-, dreimal im Leben und dann fast 60 Jahre lang nicht mehr gesehen hat. Wie kann so eine Zufallsbegegnung 2.000 km vom Heimatort entfernt, im äußersten Winkel von Norwegen zustande kommen? Das ist schon mehr als verrückt. Kurioserweise erreicht uns die Nachricht in einem Moment, in dem wir, ganz und gar 2600 km von zu Hause entfernt, noch nicht wissen, wie unser Abenteuer ausgeht.
Selbstverständlich lässt uns die Sache auch keine Ruhe. Ich rufe Thomas an und es gibt auf Anhieb ein großes Hallo. Wir müssen diesen Zufall beide erstmal realisieren.
Ungeachtet der verrückten Situation, gibt uns Thomas aber wertvolle Ratschläge, den Versand von Ersatzteilen von Deutschland aus nach Norwegen betreffend.
Er warnt besonders davor, die Teile an eine Privatanschrift senden zu lassen. "Da landet womöglich alles erst einmal beim norwegischen Zoll. Es könnte lange dauern, bis dieser die Sendung bearbeitet und weitergibt und....es könnte richtig teuer werden." Norwegen gehört nicht der EU an und es passiert nicht selten, dass somit richtig fette Einfuhrzölle anfallen. Interessant zu wissen. Das sollten wir also anders lösen.
Was aber unser Wiedersehen betrifft, steht fest; wir müssen uns sehen. Nur wie und wann, kann ich hier und heute noch nicht sagen. Momentan sind wir noch über 600 km nördlich von
Kristiansund. Thomas kann uns zwar raten, aber von seinem Standort aus kaum helfen.
Was wir an diesem Tag noch nicht wissen; alles wird gut und wir werden uns in nicht mal ganz einer Woche tatsächlich persönlich sehen.
Nun geht es aber erst einmal auf die Fähre von Andalvågen nach Horn. Ein Katzensprung von nur 3 km. Danach liegen nochmals 15 km bis nach Brønnøysund vor uns. Nach dem, was wir bisher getestet haben, dürfte das mit einem Stopp zu schaffen sein. Frisch von der Fähre herunter, machen wir uns auf die Räder. Recht genau, nach 10 km zwingt uns der schrille Warnsummer zum Anhalten. Nur noch 5 km! Wir warten nicht, bis wir wieder 60 Grad haben, sondern fahren schon bei gut 70 Grad wieder los. Schließlich ist es schon fast 15.00 Uhr und wir wissen, dass bei vielen Firmen in Norwegen, so sicher auch bei dieser LKW-Werkstatt, spätestens 16.00 Uhr der Hammer fällt. Die letzten 5 km schaffen wir und treffen gegen 15.30 Uhr mit Alarm vom Warnsummer auf dem Hof der der TTS Bil og Dekksenter in Brønnøysund ein. Ein Stein fällt uns vom Herzen. Der Service ist noch besetzt. Wir versuchen unser Problem so gut es geht in Englisch zu erklären. Schließlich stellen wir fest, dass einer der Männer gestern mit uns telefoniert hat, wir uns aber nicht verständigen konnten. Nun sind wir da und es funktioniert besser, in Englisch und mit Händen und Füßen. Dank unserer Liste mit Ersatzteilnummern, die uns Detlef aus Eisenach geschickt hat, wissen die Leute, was wir brauchen. Gleich vier Mann machen sich ans Recherchieren. Nach einigem Hin und Her und Rücksprache mit dem Lieferanten, vermutlich in Deutschland, macht man uns Hoffnung, dass die Teile, wenn alles glatt geht, am Freitag da sein werden. Leider macht man uns aber auch deutlich, dass man keine Leute hat, die den Einbau vornehmen könnten. Die Werkstattkapazitäten sind für die nächsten zwei Wochen komplett vergeben.
"Ich habe alle Werkzeuge dabei und kann das selber machen. Schön wäre es aber, wenn ich es hier bei euch machen könnte, falls ich doch mal Hilfe brauche." Wir bekommen das Angebot zum Einbau einen Platz in der Werkstatt, sozusagen "unter Dach", benutzen zu dürfen, was wir schon toll finden.
Liefertermin Freitag? Na, ob das klappt? Ich stelle mich stillschweigend schon darauf ein, dass alles auch erst in der darauffolgenden Woche da sein könnte.
Wenn die Teile aus Deutschland geliefert werden, darf nichts schief gehen und vor allem, es müssen auf Anhieb die richtigen Teile sein. Sollte erstmal was Falsches kommen, kann es noch viel länger dauern. Conny gegenüber versuche ich aber Optimismus auszustrahlen.
Wir hätten sogar bis Freitag auf dem Betriebshof der Firma stehen bleiben dürfen, was wir aber dankend ablehnten.
Vielmehr machen wir uns auf den Weg zu einem Campingplatz, an dem wir währen unserer Anfahrt am Ortseingang von Brønnøysund vorbeigefahren sind. Mit zwischenzeitlich wieder abgekühltem Motor machen wir uns auf. Dort angekommen wurden wir von einer sehr freundlichen älteren Dame empfangen, die jedoch kein Wort englisch sprach. Ihr Enkel dolmetscht zum Glück und schließlich bekamen wir ein Plätzchen mit gutem Blick auf die Höhenzüge der "Sieben Schwestern" und ....mit Stromanschluss.
Mittwoch, der 12.6.2024
Schon am Abend aber auch am darauffolgenden Morgen finden wir so gut wie keine Möglichkeit einer Gassirunde mit Odin. So gepflegt der Campingplatz selbst auch sein mag, jeder Weg endet nach nur wenigen hundert Metern entweder auf einer Wiese oder auf einem Privatgrundstück. Alternativ kann man entlang der Straße laufen, was wenig Spaß macht.
Wir entschließen uns für die kommenden Tage etwas anderes zu suchen. Dabei stoßen wir auf einen Platz, den wir trotz unseres Handicaps in wenigen Etappen erreichen können. Sein Name "Beverlys Hill" erweckt jedoch Anfangs in mir Bedenken. Sicher was Nobles. Ob wir mit unserem Riesenbaby da gern gesehen sein werden? Da wir aber noch nicht genau wissen, wie lange wir noch auf unsere Teile warten müssen, wollen wir den Standortwechsel machen. Es sind überschaubare 17 Kilometer. Ein Stopp und wir hätten es geschafft. Allerdings liegt ein steiler Anstieg dazwischen. Also vielleicht 2 Stopps.
Vor unserer Abfahrt schauen wir uns nochmal auf dem Campingplatz der Damen um und entdecken ein Museum der besonderen Art. Einige Hütten sind mit Sammelgut jeglicher Art voll. Es ist trotzdem kein Durcheinander. Die Damen haben offenbar alles gesammelt. Das hier aufzuschreiben, ergäbe eine unendliche Liste. Schaut deshalb selbst. Was Conny auffällt: Nichts ist verstaubt oder vergammelt. Die Gegenstände sind bestens gepflegt, so als ob sie alle paar Tage zumindest einmal abgestaubt werden. Es muss eine unendliche Arbeit in dieser Sammlung stecken. Für jeden, der hier einmal vorbeikommt der Rat; schauts euch mal an. Es kostet keinen Eintritt und die Damen freuen sich bestimmt über euren Besuch.
Wir machen uns kurz vor Mittag auf den Weg zu unserem neuen Standplatz:
Velfjord Panorama Caravan Camp oder auch ganz einfach "Beverly´s Hill". Im Nachhinein ist unsere Entscheidung für einen Standortwechsel in Anbetracht unserer Panne zu diesem Zeitpunkt nicht so recht nachvollziehbar. Warum bleiben wir nicht die paar Tage hier. Auch wenn es hier keine Gassirunde für Odin gibt. Wir wären doch in der Nähe der Werkstatt gewesen. Schließlich ist es wieder einmal so eine Bauchentscheidung, die am Ende zu einer absolut unvermuteten und guten Fortführung unserer Reise wird.
Die Fahrt zum neuen Standplatz verläuft fast schon routiniert. Wir wissen mittlerweile, wie weit wir kommen, bevor wir dem Motor eine Pause gönnen müssen. Wir kennen das Signal, welches uns sagt: "Rechts ran! Motor aus. Relax für etwa eine Stunde."
Auf Grund der bergigen Strecke brauchen wir nicht nur einen, sondern zwei Stopps.
Auf den letzten Metern, die bergab führen, schreit uns, trotz aller Vorsicht beim Gasgeben, der Warnsummer wieder unüberhörbar an. Nur noch wenige 100 Meter bis zum Ziel. Rechts raus. Wir sind da.
Der Platz ist terrassenförmig, an einem Berghang angelegt, an Beverly´s Hill. Diesen noch hochzufahren, lassen wir sein, sondern halten erstmal am unteren Ende an, um die Lage zu sondieren und den Motor wieder abkühlen zu lassen.
Wir stehen erst wenige Minuten dort, bis uns jemand auf einem Quad entgegengefahren kommt. Der Fahrer begrüßt uns in klarem Deutsch. Er lässt uns wissen, dass er der Besitzer des Campingplatzes ist.
Wir erklären ihm kurz unsere Lage und bitten ihn, die Zeit bis zum Eintreffen unserer Ersatzteile hier bleiben zu dürfen. "Kein Problem." ist die Antwort. Natürlich bleibt ihr hier und ihr geht in keine Werkstatt. Das kriegen wir selber hin. Und wenn es schwierig werden sollte, habe ich jede Menge Freunde, die Euch helfen werden. Bei uns ist noch kein Fahrzeug unrepariert vom Grundstück gefahren. Eine Werkstatt ist viel zu teuer. Wir helfen euch auf jeden Fall."
Der Quadfahrer ist Øivind, der Ehemann von Beverly. Nach ihr wurde des Caravan Camp benannt. Sie ist gebürtige Amerikanerin. Hier kommt der Name Beverly her und "Hill" ist einfach der Berg. Das "S" etwas anders gesetzt und schon wird aus Beverly Hill´s, ganz einfach Berverly´s Hill. Nichts mit "nobel" und "für uns nicht geeignet". Der Empfang; einfach nur nordisch-freundlich und völlig unvoreingenommen. Der Platz mit direktem Blick aus den Velfjord und den gegenüberliegenden Lomsdal-Visten-Nationalpark ist atemberaubend.
Besonders die höher gelegenen Stellplätze bieten einen traumhaften Blick. Auf Grund unserer gut 11 Tonnen Lebendgewicht bleiben wir aber auf einem der unteren Plätze stehen, da diese nach Øivinds Aussage, speziell für die etwas schwereren Modelle gebaut wurden. Der Blick bleibt trotzdem beeindruckend, woran auch die vorbeiführende Straße nichts ändert, da diese nur selten befahren wird. Einzig der Weg hinauf zum neu erbauten Sanitärgebäude ist etwas länger.
Nach den sehr kurzen Anmeldemodalitäten und einem Kaffee bietet uns Øivind, wenn es dann soweit ist, sein Elektoauto zum Abholen der Teile an. Er hatte es so verstanden, dass wir diese nach Mosjøen geliefert bekämen, einer Stadt, die sage und schreibe 163 km entfernt gelegen hätte. Hin und zurück also fast 330 km. "Ich bin noch nie Elektroauto gefahren," sage ich "Und zudem, Autos und Frauen verborgt man nicht." Øivind sieht das aber ganz entspannt. "Ehe ich mir einen ganzen Tag um die Ohren schlage, ist es besser, wenn ich dir das Auto überlasse." Verrückt diese Norweger!
Donnerstag, der 13.6.2024
So sollte es eigentlich sein. An einer schönen Stelle ankommen und einfach mal nicht gleich ans Weiterfahren denken. Obwohl wir nun schon einige Zeit unterwegs sind, ist das für uns eine ungewohnte Situation. Die Gegend um uns herum bietet zwar keine Hotspots aber Natur im Überfluss. Der Hausberg hinter dem Campingplatz ist leicht zu erwandern. Berverly hat den Weg zur besseren Orientierung mit Markierungsbändchen versehen. Zum Aufstieg ist selbstverständlich festes Schuhwerk Grundvoraussetzung, wie fast überall im hohen Norden.
Der Boden ist noch vom Tauwasser des Winters getränkt. Überall fließen kleine Bächlein und stehen Tümpel auf moosbewachsenen Felswannen, die entweder umgangen oder mutigerweise durchwatet werden müssen.
Der Weg nach oben ist von zahllosen, herrlichen Blumen und Gewächsen gesäumt. Sie alle aufs Bild zu bringen, würde die kleine Tour zum Tagesausflug machen. Als wir oben angelangt sind, erwartet uns ein herrlicher Ausblick. Wir können weit in alle Richtungen schauen. Øivind hat uns davon erzählt, dass letzten Winter öfters einmal Orcas den Fjord heraufgeschwommen sind. Er sagte, man hört sie, wenn sie vorbeiziehen. Sie machen ihre Walgesänge. Das wäre natürlich ein Ding, wenn wir so etwas mal erleben würden. Lange beobachten wir den vor uns liegenden Fjord und immer wieder denken wir, dass hinter dem einen oder anderen Wellenkamm ein Orca auftauchen könnte. Leider Fehlanzeige. So sehr wir uns die Augen auch aus dem Kopf gucken.
Oben auf dem Berg ist es sehr windig. Sobald dieser Wind aber nachlässt, schwirren hunderte Fliegen um uns herum und wollen uns anscheinen auffressen. Kurioserweise sind es nicht, wie sonst im Norden die Mücken, sondern ihre großen Verwandten. Da diese aber mindestens genauso nervig sein können, ergreifen wir irgendwann die Flucht. Glücklicherweise spüren wir im Tal und auf dem Platz nichts davon. Auch für Øivind ist die Plage nicht erklärbar. "Hatten wir dieses Jahr zum ersten Mal. Kenn wir sonst so nicht." Nach der Rückkehr von unserer Wanderung beschließen wir noch eine kleine Fahrradtour zu machen. Wozu haben wir sie schließlich dabei. Und auch wenn die Straße vor unserer Nase eine beachtliche Steigung hat, das kann ja wohl ein E-Bike nicht erschüttern. So machen wir uns auf den Weg. Nach ein paar Kilometern Fahrt lockt ein Rundwanderweg. Hier könnten wir nochmal Schusters Rappen die Sporen geben um uns die Gegend aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Mit den Fahrrädern geht das allerdings nicht. Es ist moorig und moosig und der Weg besteht teilweise nur aus schmalen Holzbohlen über feuchtem Grund. Noch bevor wir einen geeigneten Abstellplatz für unsere beiden fahrbaren Untersätze finden können, werden wir von den Fliegen überfallen. Sie sitzen in schwarzen Trüffeln an uns, gehen auf Nase, Mund und Augen. Nach wenigen Minuten sehen wir ein, dass unser Plan nicht zu realisieren ist. Wir ergreifen die Flucht. Sogar hinter den Fahrrädern fliegen sie her. Sobald wir kurz anhalten, sind die summenden Kameraden wieder da und drangsalieren uns. Na, noch ein Stück. Treten wir etwas schneller in die Pedalen. Vielleicht hängen wir sie dann ab. Tatsächlich sind sie irgendwann weg und wir können wieder durchatmen, ohne so ein Viech zwischen den Zähnen hängen zu haben. Nach einer Straßenbiegung wird der Blick frei zum Torghatten, dem größten Hühnergott der Welt. In der Ferne sehen wir ihn. Luftlinie gut 20 km. Und wir sehen das Loch, welches durch den Berg hindurchgeht, Von hier aus wirkt es nur als ein kleiner Punkt.
In Wirklichkeit ist das Loch jedoch stattliche 35 Meter hoch und misst in der Breite 15-20 Meter. Groß genug also, um ein Schiff der Hurtigruten durchfahren zu lassen.
Seit einer Weile wundere ich mich schon, weswegen sich der Hundeanhänger Odins so schwer ziehen lässt. Obwohl Connys Fahrradbatterien noch volle Ladung anzeigen, zeigt mein Display nur noch halbe Ladung an. Ein Blick nach hinten erklärt das Dilemma. Ein Reifen des Anhängers ist platt. Und Odin sagt keinen Ton. Das müsste er doch gemerkt haben! Stattdessen lässt er sich durch die Gegend rumpeln und hält dabei ein erholsames Schläfchen. Ein richtig fauler Hund!
Zum Glück haben wir sogar mehrere Fahrradluftpumpen dabei. Wie es aber so ist mit den tollen Artikeln aus China, es geht nur eine davon. Mit List und Tücke kriegen wir den Reifen "aufgeblasen" und die Kiste somit wieder ans Rollen. Während der Aktion haben uns unsere "geliebten Fliegen" wieder eingeholt. Schnell geht es deshalb wieder in die Sättel und auf den Weg zurück zum Trollexpress. Dort angekommen - keine Fliege mehr zu sehen. Unser und das Glück der Fliegen, denn es wäre für einige von ihnen das Lebensende gewesen, hätten sie uns weiter so attackiert.
Zwischenzeitlich haben wir gemeinsam mit Øivind das Missverständnis klären können, dass wir unsere Ersatzteile nicht in Mosjøen, sondern in dem nur 18 km entfernt liegenden Brønnøysund abholen müssen, wenn sie, wie erhofft, am Morgen des folgenden Tages dort eingetroffen sein werden. Die Werkstatt und die Leute kennt Øivind scheinbar. Hier oben kennt sowieso anscheinend jeder jeden. Wie bei uns im wilden Osten. Wir fühlen uns einmal mehr sehr zu Hause.
Am Abend sprechen wir uns nochmal ab. Øivind wollte ohnehin gleich früh nach Brønnøysund, um Benzin für die Boote zu holen und da liegt die Werkstatt so gut wie auf der Strecke. Wir verabreden uns für 7.00 Uhr.
Freitag, der 14.6.2024
Punkt 7.00 Uhr fährt Øivind am Trollexpress vor. Ab gehts nach Brønnøysund. Ob die Teile wirklich eingetroffen sind? Einen Anruf haben wir nicht bekommen. War auch nicht so ausgemacht. Es hieß einfach Freitag ab 7.00 sind sie da...Wenn alles gut geht. Na dann hoffen wir mal, dass alles gut gegangen ist. Auf der Fahrt durch die Stadt zeigt mir Øivind verschiedenen Firmen, in denen er Freunde hat, die uns im Bedarfsfall helfen würden. Es gab gefühlt in jeder Firma an der wir vorbei gefahren sind einen Freund und potentiellen Helfer. Øivind scheint einen großen Freundeskreis zu haben. Nachdem wir, selbstverständlich auch bei einem Freund 😃, verschiedene Kanister mit Treibstoff für die Boote gefüllt hatten, fuhren wir in die Werkstatt. Ein gewisses Kribbeln im Bauch kann ich nicht leugnen. Wir werden freundlich begrüßt und Øivind kenn offenbar auch hier alle. Ein Kollege der Ersatzteilbeschaffung bringt uns das heiß ersehnte Paket herein. Es steht MAN drauf, was aber noch nichts bedeuten muss, denn auch beim Mitbewerber wurden die gleichen Wasserpumpen eingesetzt. Ich schaue rein. In Ölpapier eingepackt grinst sie mich trübe an. Ist das die Richtige? Erst einmal kommt mir der Dichtungssatz und danach zwei neue Keilriemen entgegen. Das sieht doch schon mal gut aus. Nun aber weg mit der Verpackung und .... es ist die Richtige. Kein Zweifel, sogar die Farbe stimmt. Sie läßt sich leicht durchdrehen, wie man es von einem neuen Teil erwarten. Eigentlich nichts dran an dem Ding. Sie wiegt gut 10 kg und ist ein recht grob gestricktes Gußteil. Ein paar Kühlwasserkanäle ein Flügelrad, ein Lager und Befestigungsbohrungen für das Keilriemenrad. Trotz der einfachen Bauweise, aus dem Stück feilen wäre kaum gegangen. Was fehlt im Paket sind die beiden Thermostate. Nicht so schlimm, denn die alten waren ja nicht defekt. Sie wieder zu verwenden, dürfte kein Problem sein. Vor Freude über die sehnlichst erwartete Ware bezahle ich schnell und ohne die Rechnung nochmal zu überprüfen. Wir machen den Männern der Ersatzteilausgabe deutlich, dass wir die Montage doch nicht in ihrer Werkstatt machen werden. Ich bedanke mich freundlich für die gelungene Beschaffung.
Auf dem Heimweg zeigt mir Øivind, was so ein Elektrofahrzeug draufhat. Die Bedingungen zum Kauf von E-Autos sind in Norwegen supergünstig. Zum Einen fällt angeblich keine Mehrwertsteuer an, die hier stolze 25% beträgt und zum Zweiten sind die Energiepreise so günstig, dass es zu einem Elektrofahrzeug eigentlich keine Alternative gibt. Als ich Øivind frage, was er für die Fahrt nach Brønnøysund sozusagen fürs "Benzin" bekäme, lacht er nur. "Das hat mich keinen Euro gekostet! Lass mal. Habe ich gerne gemacht. Außerdem war ich sowieso tanken!
Brauchst du noch Werkzeug oder vielleicht ein Rollbrett für die Arbeiten unter dem Fahrzeug?
Zum Auffangen des Kühlwassers gebe ich dir eine Wanne."
So ausgerüstet gehts an die Arbeit.
Ohne das Fahrerhaus zu kippen, geht nichts. Im gekippten Zustand ist allerdings komfortabel Platz.
Nach einer guten Stunde liegt die alte Pumpe vor uns. Man kann deutlich erkennen, wie heiß Das Aggregat in den letzten Tagen seines Lebens geworden ist. Um das Pumpenlager herum ist der Lack verbrannt. Auch mit roher Gewalt dreht sich hier nichts mehr.
War echt kein Hexenwerk und eine Videoanleitung aus Deutschland war auch nicht nötig. Viel Sorgfalt galt es beim Säubern der Dichtflächen zum Motorblock hin. Wird hier gepfuscht, kann der neue Dichtungssatz Schaden nehmen und der Erfolg der ganzen Aktion wäre gefährdet. Alles dicht zu kriegen und das beim ersten Versuch, ist oberstes Ziel....sagt der Uhrmacher, der sicher schon einige tausend Taucheruhren wasserdicht repariert hat aber leider noch nie einen V6 LKW-Motor. Der Mensch wächst eben mit seinen Herausforderungen. Die beiden alten Thermostate passen.
Neue Dichtungen dafür waren beim Dichtungssatz dabei. Stück für Stück nimmt alles Gestalt an. Das Kühlwasser verwenden wir wieder. Das wird eigentlich nicht empfohlen. Klar. Es soll schließlich kein Schmutz ins System kommen. Normal brauchte jetzt im Sommer auch kein Frostschutzmittel rein. Trotzdem ist ein Wasser-Glysantin-Gemisch besser für´s Kühlsystem als klares Wasser. Es schmiert und konserviert einfach besser. Vielleicht hätte Wasser aus dem Velfjord eine ähnliche Wirkung gehabt. Man weiß es aber nicht.
Conny filtert deshalb das ganze zuvor abgelassene Kühlwasser, bevor wir es wieder verwenden.
Ein Mitglied der Crew hat das ganze Geschehen völlig kalt gelassen. Ich glaube auch nicht, dass er uns eine Hilfe gewesen wäre. Odin hat durch Nichts-Tun, alleine mit seiner naturgegebenen, inneren Ruhe, zusätzliche Gelassenheit in die Unternehmung gebracht. Während wir mit jeder Faser unseres Körpers dem Gelingen der Aktion entgegenfiebern, genießt er die Sonne in vollen Zügen auf seinem, eigens für ihn mitgereisten Lieblingsstuhl.
Ein wirklich hartes Los!
Gegen 16.00 Uhr ist alles geschafft. Sicher nicht in Rekordzeit aber wir haben nur einen Versuch. Somit war es besser, genau zu arbeiten als schnell. Alle Schrauben sind angezogen. Das Fahrerhaus ist nicht mehr gekippt. Kühlwasser ist aufgefüllt. Der Trollexpress ist startklar. Jetzt muss nur alles dicht sein. Schlüssel rum. Der Motor springt an. Alle Geräusche normal. Er tuckert im Leeerlauf. Ich springe aus dem Fahrerhaus. Der Blick geht unter das Fahrzeug und wir befürchten, dass es irgendwo tröpfelt. Nichts. Alles dicht. Ein Stein, nein ein ganzes Geröllfeld fällt uns vom Herzen. Nochmal die Drehzahl erhöhen. Vielleicht fliegt dann ein Kühlerschlauch weg? Nichts dergleichen. Alles hält. Na dann auf zur Probefahrt. Werkzeug aufräumen. Kurz waschen und ab gehts.
Immer noch mit klopfendem Herz, denn es könnte ja auch auf der Probefahrt noch was platzen, fahren wir Richtung Brønnøysund. Alles läuft normal. Die Thermostaten öffnen wie gewollt bei 80 Grad. Die Motortemperatur geht nicht mehr durch. Alle Geräusche sind normal. So als wäre nie etwas gewesen.
In Brønnøysund angekommen, können wir uns nun entspannt dem modernen Städtchen widmen.
Dinge einkaufen, die uns in den letzten Tagen ausgegangen sind.
Frisches Brot, Eier und was zum Grillen. Ein kleines Dankeschön für Øivind und seine Frau wandert auch in unseren Einkaufskorb.
Wir entdecken den Mittelpunkt von Norwegen, zumindest was die Strecke zwischen dem Leuchtturm von Lindesnes und dem Nordkapmonument betrifft.
Als zusätzliche Belohnung für uns legt am Kai gerade die Nordlys von der Hurtigrutenflotte ab. Mit dem bekannten Schiffshorn verabschiedet sie sich zur Weiterfahrt zur, wie man sagt, schönsten Kreuzfahrt der Welt.
Trotz des recht aufregend verlaufenden Tages, sind wir immer noch nicht kaputt zu kriegen. Von Brønnøysund zum Torghatten ist es nicht weit. Und wenn wir schonmal hier sind, könnten wir uns diesen interessanten Berg mit dem Loch drinne doch noch schnell anschauen.
Gesagt, getan. Aus Brønnøysund heraus überqueren wir eine Brücke und fahren entlang des Torkfjorden Richtung Torghatten.
Die Straße dorthin ist nagelneu angelegt. Allerdings ist sie sehr schmal und außerordentlich kurvig. Nur an speziell angelegten Ausweichstellen können zwei Fahrzeuge aneinander vorbeifahren. Der Trollexpress nimmt die gesamte Straßenbreite ein. Nach etwa 20 Minuten erreichen wir einen ebenfalls neu angelegten, recht großen Parkplatz mit Hotel und Informationspunkt.
Die Toiletten sind wieder einmal eine Augenweide und bieten Männchen, Weibchen und auch diversen Menschen freundliche Entleerung auf höchstem Niveau.
Der Parkplatz bietet sicher gut 100 Stellplätze, ist aber momentan so gut wie leer. Es stehen lediglich 3 Wohnmobile (mit uns 4) und ein Motorrad darauf. Von hier aus kann man zum Torghatten wandern. An Tagen in der Hauptsaison ist sicher mehr los, sonst hätte man nicht so viel Parkraum geschaffen.
Da der Tag schon recht weit fortgeschritten ist, beschließen wir nicht hochzuwandern, sondern versuchen von verschiedenen, höher liegenden Punkten der nahen Umgebung einen Blick auf das steinerne Loch zu erhaschen. Leider keine Chance. Entweder es liegt zu hoch oder wir fixieren uns vielleichte auch nur auf die falsche Felsspalte, hinter der sich das Loch vor unseren neugierigen Blick verbergen könnte. Auf dem Rückweg zum Trollexpress begegnen wir einem Biker, der gerade seine Drohne zum Erkunden des Bergloches gen Himmel geschickt hat. Das erinnert mich daran, dass auch wir eine Drohne an Bord haben, mit deren Hilfe wir ohne späte Wanderung noch zu ein paar schönen Aufnahmen des Berglochs kommen könnten. Ich will aber warten, bis der Motorradfahrer mit seiner Drohne fertig ist, da ich es immer recht verwirrend finde, wenn da zwei gleichzeitig in der Luft herumkurven. Wir kommen kurz ins Gespräch. Er hat ein Solinger Kennzeichen und erklärt, dass er auf dem Weg nach Norden ist. Ganz nach oben, ans Nordkap will aber nicht. Er packt gemächlich sein Fluggerät ein, um sich danach wieder auf den Weg zu machen. Ich hole unsere Drohne. Conny will in der Zwischenzeit Abendbrot machen, damit wir fertig sind, wenn wir später wieder zurück auf Beverlys Hill sind. Ich will auch nicht ewig herumbummeln, denn etwas Hunger habe ich nach dem langen Tag und den Aufregungen beim Wechsel der Wasserpumpe doch schon gekriegt. Ich starte recht zügig, fliege hinauf und erwische ein paar nette Sequenzen vom Berg und vom Loch. Das Ganze dauert keine 10 Minuten. Der Biker steigt gerade auf. Wir verabschieden uns, als er sagt." Komisch, da hinten kommen sie mit Blaulicht." Ich sehe nichts. Er gibt Gas uns fährt davon. Keine Minute später hält ein, auf dem ersten Blick zivil aussehender Volvo neben mir und lässt die Beifahrerscheibe herunter. Ich sehe einen unter voller Bewaffnung stehenden Polizisten und seine am Steuer sitzende Kollegin im Fahrzeug. Ich grüße freundlich, wie man das so tut, denn ich bin mir keiner Leiche im Keller bewusst. Der recht junge aber trotzdem äußerst ernst dreinschauende Ordnungshüter fragt mich auf Englisch."Did you fly a drone?"
Ich stutze kurz, habe ja das Teil noch sichtbar in der Hand und antworte verwundert: " Yes i have." Worauf der junge Beamte aussteigt, und mir erklärt, dass die Luftüberwachung nicht nur eine Drohne in der Einflugschneise zu Brønnøysunds Flugplatz geortet hat, sondern diese mit 160 Metern Flughöhe, auch noch die erlaubte Flughöhe über dem Boden um 40 Meter überschritten hat. Ich versichere, dass ich mir keiner Schuld bewusst bin, merke aber in dieser Situation ganz deutlich, dass mir der Rest meines sowieso spärlichen Englisch durch Nervosität gerade völlig abhandenkommt. Ich stammle irgendetwas, was aber weder der Polizist noch seine Kollegin verstehen können. Leider beschlagnahmen sie als erste Amtshandlung mal meine geliebte Drohne. In der Folge werde ich informiert, dass es eine ganz böse Tat sei, im Einflugbereich eines Flughafens und dann auch noch über der erlaubten Höhe von 120 Metern zu fliegen. Dazu muss man wissen, dass unsere Drohne ein Startgewicht von nur 249 Gramm hat. Sie gehört damit zur leichtesten Klasse, für die eigentlich nicht einmal ein Drohnenführerschein erforderlich wäre. Diesen hatte ich aber im Vorfeld unserer Reise freiwillig abgelegt, weil man ja nie wissen kann.... Und da trat es nun auch schon ein: Das, was man ja nie wissen kann! Als Zweites ließ man mich wissen, dass neben der Konfiszierung der Drohne auch noch ein Bußgeld bis zu 1.800,00 € drohen könnte. "Dann wären wir schon bei 3.000,00 € Schaden." denke ich und mir wird mulmig. Da ich kein geübter Straftäter bin, geht mir die ganze Sache wirklich unter die Haut. Es folgt ein nerviges Verhör. Warum und wieso und weshalb und überhaupt. Ich versuche zu erklären, dass ich das mir Vorgeworfene nicht aus böser Absicht, wenn überhaupt maximal aus Unachtsamkeit heraus gemacht habe. Erstens war mir nicht bekannt, dass hier ein Einfluggebiet ist, was nirgends zu erkennen war. Zweitens habe ich nicht bemerkt, dass ich zu hoch gewesen bin. Ein Flugprotokoll kann ich nicht abrufen. "Keine Ahnung wie das geht. I have no idea how that works." Sicher hätte ich es rausgekriegt, aber ich hatte ja auch nicht den Plan, mich selber noch zusätzlich ans Messer zu liefern. Jedenfalls folgte ein langes Telefonat des jungen Hüters der Lüfte, angeblich mit einem Staatsanwalt, zumindest einem, der hätte festlegen können, was mit so einen schweren Jungen wie mir geschehen soll. Zum Glück hatte ich gelesen, dass die Todesstrafe in Norwegen schon vor einigen Jahren abgeschafft wurde.
Von dem ganzen Geschehen hatte Conny bis hierher noch absolut nichts mitbekommen. Sie hatte sich in unserem Fahrzeug mit der Herstellung eines leckeren Abendbrotes beschäftigt, ohne etwas Böses zu ahnen. Sie verwunderte sich lediglich irgendwann, wo ich denn wieder mal bleibe. "Bestimmt hat er sich wieder einmal mit irgendjemand verquatscht. Wie sie so sind, die Kerle. Und da heißt es, wir Frauen wären Klatschtanten!" Als es ihr schließlich doch zu bunt wurde, schaute sie mal nach mir und....Es hob sie fast aus den Schuhen....Ich stand da draußen mit zwei waschechten, norwegischen Polizeibeamten im Schlepptau und hatte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Nur Handschellen hätten an dieser Stelle noch gefehlt, um Conny einen mittleren Herzinfarkt zu bescheren.
"Was iss ´n hier los?" fragt sie spontan in die offensichtlich missgelaunte Runde. Die nette Polizistin entschuldigt sich sofort bei Conny für die gerade entstehenden Unannehmlichkeiten. Sicher denkt sie:" Was kann die arme Ehefrau dafür, denn ihr Alter so ein Gesetzesschädling ist." Nein, in Wirklichkeit war es völlig anders.
Offenbar kamen beim telefonischen Abgleich der Drohnenregistrierung Zweifel auf, ob es überhaupt unsere Drohne war, die da geortet wurde. Das alles führte zu einigem Hin und Her beim Telefonat mit dem vermeintlichen "Staatsanwalt". Da dieses aber in Norwegisch geführt wurde, konnten wir keine Details mitkriegen. Jedenfalls gab der telefonierende junge Genosse (Ich glaube, das heißt heute nicht mehr so.) mehrfach die Registriernummer unserer Drohne durch. Die war an dieser sehr ordnungsgemäß und gut sichtbar angebracht. Zwischenzeitlich versuchte seine Kollegin unser Warten auf ein Ergebnis, sofortige Hinrichtung durch den Strang, Giftspritze oder 20 Jahre Lagerhaft, durch ein freundlicheres Gesicht und einige private Fragen zu lockern. Ob wir den Trollexpress selber gebaut haben? Wie lange wir schon unterwegs sind und von wo in Deutschland wir genau herkommen? Mit Kälberfeld hätte sie sicher nichts anfangen können, aber Thüringen kannte sie schon. Klar, dachte ich. Bei dem Wahlergebnis der letzten Landtagswahlen, muss Thüringen ja weltbekannt geworden sein. So schlimm rechts haben die Norweger das letzte Mal vor 10 Jahren mit Erna Solbergs Høyre-Partei gewählt. Auch der junge Polizist wurde zunehmend freundlicher, ließ aber im Gegensatz zu seiner Kollegin immer noch den bösen Verbrecherfänger heraushängen. Nach einer unendlich scheinenden Wartezeit erfolgte schließlich der Rückruf des "Generalstaatsanwaltes" von Norwegen. Sicher hatte sich dieser zwischenzeitlich mit König Harald V. abgesprochen, in unserem Fall dann doch eher Gnade vor Recht ergehen zu lassen. "Sie bekommen die Drohne zurück. Dann wollen wir es heute noch einmal bei einer Verwarnung belassen. Aber lassen sie sich nicht noch einmal erwischen. Dann wirds teuer!" Scheinbar fiel spätestens jetzt auch seiner Kollegin ein Stein vom Herzen. Sichtlich erleichtert gab sie mir unser "Flugzeug" zurück. Im Gehen und mit einem Lächeln ruft sie uns noch zu: "Enjoy Norway!" Ich bin sicher, es war ein sehr ehrlich gemeinter Abschiedsgruß. Beide verschwanden mit dem schicken Volvo am Horizont und ich konnte nach einer gefühlten Ewigkeit zum ersten Mal wieder so richtig durchatmen. Conny sah mich mit großen Augen an und konnte nur mit dem Kopf schütteln. So richtig hatte sie das soeben Erlebte noch nicht verstanden.
Nach eigenen Auswertung der Geschehnisse, hat sich im Nachhinein eine etwas abweichende Wahrnehmung des Vorfalles ergeben.
Vom Zeitpunkt meines außerordentlich kurzen Drohnenfluges bis zum Eintreffen der beiden Polizisten vor Ort, hätten diese selbst mit Vollgas und Blaulicht den Parkplatz nicht erreichen können. Und da war noch etwas. Die Unstimmigkeiten beim Abgleich der Registriernummer lassen die Vermutung zu, dass es garnicht unsere Drohne war, die den "Luftalarm" und den Einsatz der beiden Polizisten ausgelöst hat. Es drängt sich viel eher der Verdacht auf, dass unser zwischenzeitlich entwischter Biker der Verursacher des Einsatzes war. Diese Möglichkeit kam mir bereits während des "Verhörs" in den Sinn. Beweisen konnten wir das allerdings nicht, denn Freund Blase war ja schon über alle Berge. Diese Möglichkeit auf englisch zu erklären, gelang mir in diesem Moment nicht, zumindest nicht so, dass die beiden es hätten verstehen können.
Trotz des für mich mit einem blauen Auge ausgegangenen Falles, saß uns der Schreck über den möglichen Verlauf der Geschichte noch lange im Genick. Dazu kann ich nur sagen, dass wir selbstverständlich nicht in ein Land fahren, um dort wie die Axt im Walde gegen vorhanden Regeln zu verstoßen. Gerade der Respekt gegenüber den Mitmenschen und die Selbstverständlichkeit, wie die Norweger, genau wie die Finnen und Schweden die Regeln des öffentlichen Lebens achten und einhalten, gefällt uns sehr gut. Diese Mentalität ist ein Grund von vielen, weshalb es uns immer wieder hier hoch in den Norden zieht. Es ist der Umgang der Menschen untereinander, aber auch mit den, oft nicht so "pflegeleichten" Touristen. Insbesondere das Verhalten der Einheimischen im Straßenverkehr ist beispielgebend. Speziell davon können wir, die für schlau und perfekt gehaltenen Deutschen, uns noch so manche Scheibe abschneiden. Wir kommen nicht hierher, um gegen die Regeln zu verstoßen. Umso mehr zucken wir zusammen, wenn wir trotzdem in solch einen Konflikt geraten und dann eigentlich ohne jeden Vorsatz, zu den Unartigen gehören.
Wir machen im Troll Abendbrot, knabbern dabei aber nicht nur an den schön geschmierten Schnittchen, sondern vor allem an den Nachwirkungen des Erlebten. Als wir uns an die Rückfahrt machen ist es schon spät. Wir hoffen, dass sich Øivind und Beverly nicht schon Sorgen machen, dass wir auf unserer Probefahrt erneut liegengeblieben sind. Wir rufen die beiden trotz später Stunde an und geben Entwarnung. Der Trollexpress schnurrt auch während der Rückfahrt tadellos. Kein Tröpfchen Kühlwasser verlässt das System.
Heute Nacht nicht von berstenden Motoren und vom Einsperren zu träumen, wird sicher schwer. Zum Glück bringt uns ein ebenso schöner Sonnenuntergang, wie in der Nacht zuvor auf andere Gedanken
und wir schlafen gut.
Und wie schon einmal müssen wir feststellen, dass wir von der ganzen Sache kein einziges Foto und schon gar kein Video gemacht haben. Auch hier war uns wieder einmal nicht danach. Sicher hätte uns die nette Polizistin auch ein Abschieds-Selfie erlaubt. Bei ihrem Kollegen bin ich da nicht sicher. Als Conny mich zum Abschluss des Tages bittet: "Dann zeig mir doch mal die Drohnenaufnahmen von Loch im Berg!" wehre ich entsetzt ab und sage:
"Das Teil nehme ich an den nächsten Tagen erstmal nicht wieder in die Hand.
Nicht das die uns auch am Boden und im Troll noch orten.
Dann wirds wirklich haarig.
Samstag, der 15.6.2024
Abschied von unseren Gastgebern für die letzten Tage
Høylandet- bei "Bauer Lindemann"
Erste Elchsichtung
Nach 4 Tagen verlassen wir schweren Herzens Beverlys Hill, das Velfjord Panorama Caravan Camp. Nicht nur Conny und ich waren gerne hier, auch Odin hat mit Rocko, Øivinds ständigen Begleiter und Hüter des Anwesens, Freundschaft geschlossen. Wir wurden hier unglaublich freundlich und entgegenkommend aufgenommen. Jede Hilfe wurde uns zuteil. Man hatte nach wenigen Minuten des Kennenlernens bereits Gefühl, als kenne man sich schon jahrelang. Wir, die gebürtigen Ossis und die, doch eigentlich als verschlossenen geltenden Norweger, passen zusammen wie der Topf auf den Deckel.
Wir werden diesen Platz und diese Menschen, wenn unsere Gesundheit es in den nächsten Jahren weiterhin erlaubt, mit Sicherheit nicht das letzte Mal besucht haben.
Wir werden wieder reinschauen.
Danke noch einmal für Alles, Ihr beiden!
Bleibt gesund und vor allem, bleibt wie Ihr seid!